Digitalisierung – Quo vadis?

Die schlechten Nachrichten dürften sich inzwischen herumgesprochen haben:

Die Anschaffung des eHBA und die Verwendung der TI sind auch für uns Anästhesistinnen und Anästhesisten Vertragsarztpflicht!

Wenn auch der Nutzen gegenwärtig für unsere Berufsgruppe (noch) nicht ersichtlich und der Aufwand sehr hoch ist – Sie müssen einen eHBA beantragen, sonst drohen Ihnen Sanktionen!

Alle Versuche, Ausnahmeregelungen zu erreichen, waren leider nicht erfolgreich. Der Druck kommt zur Unzeit, stecken doch viele Praxen noch im Kampf gegen die Pandemie, mit all ihren Begleiterscheinungen.

Positionierung der BÄK

So hat auch Dr. med. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, im April in einem Interview das Vorgehen des Bundesgesundheitsministeriums, das die Digitalisierung ungeachtet der enormen Arbeitsbelastung der Praxen durch Pandemie und Impfkampagne vorantreibt, kritisiert. Auch wenn der ungehinderte Informationsfluss sehr wichtig und die Digitalisierung überfällig sei, verhindern nicht zuletzt strukturelle Probleme, wie fehlende Updates für Konnektor und Praxisverwaltungssystem und mit der eHBA-Produktion überforderte IT-Anbieter, das Einhalten des straffen Zeitplans des BMG.

Gleichzeitig sehen sich die Praxen ab dem 01.07.2021 mit Sanktionen konfrontiert, wenn sie ob dieser Umstände im Digitalisierungsprozess hinterherhinken. Reinhardt: „Das halten wir in dieser Form für völlig unangemessen und geht aus unserer Sicht so nicht.“ Das BMG spiele mit dem Vertrauen der Ärztinnen und Ärzte. Die BÄK fordert daher eine stärkere Einbeziehung der Ärzteschaft in den Digitalisierungsprozess, eine kluge Priorisierung hinsichtlich des Nutzens bei der Einführung neuer Anwendungen und natürlich die Abschaffung der Sanktionen!

Eine weitere Forderung der BÄK zielt auf eine gesetzlich vorgeschriebene, fundierte Evaluation der digitalen Neuausrichtung des Gesundheitswesens, die das „Nachjustieren getroffener Entscheidungen“ ermöglichen soll. Berechtigte Bedenken äußert die BÄK auch hinsichtlich der Ablösung der Notfalldaten und des Medikationsplans von der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) hin zu Onlineanwendungen. Dies benachteilige vulnerable Gruppen und Gegenden ohne flächendeckenden mobilen Internetzugang.

Die Sanktionen – und wie man sie vermeiden kann

Die guten Nachrichten sind, dass das BMG inzwischen ein Einsehen hatte und von Sanktionen ab dem 01. Juli 2021 absieht, wenn die zur TI-Anbindung erforderlichen Komponenten nachweislich vor dem 01. Juli von den Vertragsärzten und -ärztinnen bestellt werden.

Daher die Bitte an Sie, wenn Sie Sanktionen vermeiden wollen: Bestellen Sie noch vor dem 01.07.2021 einen eHBA und bewahren Sie den Bestellbeleg als Nachweis auf!

Hohe Kosten vs. fragwürdiger Nutzen

Nicht nur die BÄK kritisiert, dass bei der Digitalisierung die gemeinsame Selbstverwaltung des Gesundheitswesens zunehmend durch die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf staatliche Einrichtungen unterlaufen wird, auch der GKV-Spitzenverband beklagt diesen Umstand. Die Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung als wichtigste Patientenvertretung werde geschwächt. Und wie auch die BÄK kritisiert der GKV-Spitzenverband eine mangelnde Evaluierung des tatsächlichen Nutzens der neuen Technologien, während die Hersteller dieser Technologien auf Kosten der Beitragszahler gut daran verdienen.

Fristenübersicht

Die Fristen der verschiedenen TI-Anwendungen in der Übersicht:

01. Juli 2021Elektronische Patientenakte (ePA) verpflichtend;
Elektronisches Rezept (eRezept) freiwillig
01. Oktober 2021Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU);
Kommunikationsdienst KIM (Voraussetzung zum eAU-Versand);
beides gesetzlich verpflichtend
01. Januar 2022Elektronisches Rezept (eRezept) verpflichtend

Bereits verfügbar sind das Notfalldatenmanagement (NFDM), der Elektronischer Medikationsplan (eMP) und der Elektronischer Arztbrief (eArztbrief). Die KBV stellt hier eine sehr hilfreiche Übersicht mit den TI-Anwendungen zur Verfügung. Weitere hilfreiche Informationen der KBV finden Sie hier.

elektronische Patientenakte (ePA)

Obwohl die Praxisanbindung an die ePA ab dem 01. Juli 2021 Pflicht ist, fühlt sich die Hälfte der Arztpraxen nicht genügend auf den Anwendungsstart vorbereitet, wie laut Deutschem Ärzteblatt eine Umfrage der AOK Nordost Ende März ergab. Ein wesentliches Problem ist, dass zwar fast dreiviertel der befragten Praxen schon einen TI-Konnektor haben, aber einem Großteil das notwendige Konnektorupdate zur Nutzung der ePA fehlt.

Von Patientenseite aus scheint die aktive Nutzung der ePA momentan auch noch fragwürdig. Dabei lebt die ePA von einer möglichst weiten Verbreitung in der Bevölkerung. Um also den Nutzen für Versorgung, Forschung und Datenverarbeitung der ePA zu erhöhen, schlägt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) vor, die ePA für alle Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verpflichtend einzuführen, berichtet das Deutsche Ärzteblatt im April. Konkret bedeutet dies, dass für jede Person eine ePA angelegt wird, wenn nicht aktiv widersprochen wird. Ob dieser Vorschlag umgesetzt wird, steht gegenwärtig noch in den Sternen. Ebenso nebulös ist, wie bei einem solchen Arrangement die Patientinnen und Patienten die Bestimmungshoheit über ihre persönlichen Daten wahren können.

elektronischer Heilberufsausweis (eHBA)

Auch die Einführung des eHBA steht insbesondere hinsichtlich der Ausgabe vor einigen Schwierigkeiten. Die KBV informierte bereits Mitte April darüber, dass Praxen mit längeren Wartezeiten von zwei bis drei Monaten(!) rechnen müssen, da die Kartenhersteller mit der Produktion überfordert seien. Dummerweise ist nur der Besitz eines eHBA Voraussetzung zur Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA), der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) und des elektronischen Rezepts (eRezept).

Um den Praxen hier ein wenig Luft zu schaffen, hat das BMG zugestimmt, dass der Praxisausweis (SMC-B-Karte) als TI-Zugangsvoraussetzung ohne eHBA bis zum 31.05.2021 bestellbar bleibt. Diese Frist ist inzwischen abgelaufen und der Druck auf die Praxen steigt wieder rasant an.

IT-Verbände

Beim Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) ist man sich keiner Schuld bewusst. Die Verzögerungen würden nicht durch die Hersteller verursacht, sondern durch die beständigen, nur kurzfristig an die Hersteller herangetragenen Spezifikationswünsche, durch die sie an ihre Kapazitätsgrenzen gerieten.

Der Anschluss aller Akteure des Gesundheitswesens an die Tele­ma­tik­infra­struk­tur ist der bvitg schließlich ein großes Anliegen, wie in einem neuen Positionspapier zu lesen ist. Auch das Deutsche Ärzteblatt berichtete. Soll diese Anbindung doch in der kommenden Legislaturperiode den Weg zu weiteren Digitalisierungsprojekten ebnen. Von Kapazitätsgrenzen keine Rede. Man wünscht sich eine „umfassende Strategie“ und ein Gesamtprojekt unter einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Begehrlich sehnt sich die Industrie nach einer „nachhaltigen Finanzierung eines digitalen Gesundheitswesens“ und dem Zugang zum nationalen Forschungsdaten­zentrum. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Zukunftsaussichten

Die kontinuierliche Weiterentwicklung der digitalen Gesundheitsanwendungen ist dabei aber auch ein Wunsch des BMG, gemäß des „Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz“ (DVPMG).

So ist vorgesehen, dass die Krankenkassen ab dem 1. Januar 2023 den Versicherten ergänzend zur eGK auf Verlangen eine sichere digitale Identität zur Authentifizierung des Patienten und als Versicherungsnachweis für das Gesundheitswesen barrierefrei zur Verfügung stellen. Probeweise soll diese Anwendung bereits ab dem 01. Juli 2022 zur Verfügung stehen. Die gematik ist angehalten, bis zum 1. April 2022 die technischen Voraussetzungen für die Einführung schaffen.

Einige Anwendungen wie den elektronische Medikationsplan soll es zukünftig ausschließlich als TI-Anwendungen geben. Die elektronischen Notfalldaten sollen zu einer elektronischen Patientenkurzakte weiterentwickelt werden. Weitere Entwicklungen betreffen u.a. die Telemedizin, die stärker genutzt werden soll.

Auch der Kommunikationsdienst KIM, der zur Nutzung einiger dieses Jahr verpflichtend werdenden Anwendungen unentbehrlich ist, soll ausgebaut werden. Er soll zukünftig auch um einen Videokommunikationsdienst, zum Beispiel für Videosprechstunden, und einen Messagingdienst erweitert werden.

Der KBV soll es zukünftig obliegen, Daten der vertragsärztlichen Versorgung für das „Nationale Gesundheitsportal“ aufzubereiten.

Perspektivwechsel

Dass die IT eine männerdominierte Branche ist und demgemäß die Entwicklung neuer Anwendungen aus einer männlichen Perspektive heraus geschieht, ist inzwischen wahrlich eine Binsenweisheit. Mit Blick auf diese Tatsache sowie auf den „Gender-Data-Gap“ in der Medizin, der vor allem zulasten von Frauen geht, fordert Dr. med. Christiane Groß, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB), eine stärkere Einbeziehung des Genderaspekts, insbesondere bei Anwendungen Künstlicher Intelligenz, bevor es zu spät ist. Diese Forderung ist gleichzeitig Ergebnis des Ende Mai abgehaltenen 1. Internationalen Ärztinnenkongresses.

(KH)

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